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Nicki in Urlaubsstimmung
Vor nahezu 26 Jahren, einer Zeit, wo ich noch jung und knackig war, fasste ich den Entschluss, meine Freundin in Saarlouis (Saarland) zu besuchen, aber nicht mit dem Zug, nein, dass wäre mir zu langweilig gewesen, die Reise sollte auf meinem Mofa zurückgelegt werden. Komisch, jedem, dem ich davon erzählte, ob Familie oder Freunde, schüttelten den Kopf und zweifelten an meinem Verstand. OK, sollten doch alle denken, was sie wollten, ich ließ mich dadurch in keinster Weise von meinen Reiseplänen abbringen. Anfang des Jahres hatte ich mir einen Jugendtraum erfüllt und dem Mann einer Bekannten sein Mofa abgekauft. Da Saarlouis ja nicht eben um die Ecke liegt, es handelte sich immerhin um die schlappe Strecke von knapp 600 Kilometern, mussten entsprechende Vorbereitungen getroffen werden.
Als erstes wollte ich mein Mofa in Schuss bringen, neue Kette, neues Ritzel und neues Kettenrad, wollte ja unterwegs schließlich keine unliebsamen Überraschungen erleben. Gesagt, getan, rein in die Straßenbahn und ab zum nächsten Motorradladen, dort meine Wünsche vorgetragen, da gab es schon das erste Problem, mein Mofa war kein deutsches Fabrikat, ich hatte eine Puch und die wurde in Österreich gebaut. Also mussten die Ersatzteile erst bestellt werden, gut, die Zeit drängt ja nicht, verschieben wir um ca. 14 Tage, es hetzt uns ja keiner. Die Lieferung der Ersatzteile sollte etwa ungefähr eine Woche dauern, diese Zeit nutzte ich, um meine Strecke auszutüfteln, meine Übernachtungsstationen herauszusuchen, mir einen Jugendherbergsausweis zu besorgen und mich um alles zu kümmern, was für so eine Reise wichtig ist. Nach einer Woche konnte ich tatsächlich meine Teile abholen. Voller Euphorie begann ich, die Teile umzubauen. Als erstes habe ich mir das Ritzel vorgenommen, der Abbau des alten verlief reibungslos, das neue draufzukriegen gestaltete sich schon etwas schwieriger, seltsamerweise war immer der Nippel der Verschraubung von der Verkleidung im Weg, dass konnte doch nicht mit rechen Dingen zugehen. Beim Vergleich der beiden Ritzel stellte sich heraus, dass das neue Ritzel 3 Zähne mehr hatte als das alte, so ein Mist, ich hatte keine Lust mehr, meinen Urlaub wegen so eines blöden Teils noch weiter nach hinten zu schieben, also wurde kurz entschlossen das Gewinde für die Verkleidungsverschraubung so weit weggefeilt, bis ich die Kette in diesem Bereich frei über das Ritzel bewegen konnte, so, dass war nun endlich erledigt. Das Kettenrad hatte ich mir ganz umsonst gekauft, denn ich bekam das alte gar nicht erst vom Hinterrad herunter, irgendeine Intelligenzbestie hatte Schraubenden, die über die Mutter hinweggingen, einfach platt gekloppt, so dass ich die Muttern nicht lösen konnte. Da das Kettenrad noch nicht so marode aussah beschloss ich, es einfach drauf zu lassen. Gut, nun sollte die Kette wieder drauf, oh nein, so ein Mist, ich habe alles abgesucht, dass Kettenschloss war und blieb verschwunden. Also wieder in die Bahn und ab zum Motorradladen, ein neues Kettenschloss kaufen. Endlich wieder zu Hause angekommen wollte ich nun endlich die Schrauberei beenden und zog die Kette erneut auf. Falls jetzt jemand auf die Idee kommen sollte, dass es reibungslos funktioniert hat, weit gefehlt, nun hatte ich endlich das Kettenschloss, aber irgendwie war die Kette jetzt auf einmal zu kurz. Na klar, dass neue Ritzel hatte ja auch 3 Zähne mehr, da konnte die Kette ja gar nicht mehr passen. Toll, um noch mal zum Motorradladen zu fahren war es mittlerweile zu spät, ich hatte den ganzen Tag an dem Mofa rumgebastelt ohne einen nennenswerten Erfolg erzielt zu haben, ärgerlich. Gleich am nächsten Morgen bin ich wieder losgedüst, ich glaube, die dachten mittlerweile auch, dass sie eine Schwachsinnige vor sich hatten, die zu blöde ist, die Glieder einer Kette zu zählen, aber ich bekam eine Kette, die nun 3 Glieder mehr hatte als die alte. Um das Ganze jetzt abzukürzen: nach einem nochmaligen Besuch im Motorradladen, dieses Mal mit meiner alten und der neuen Kette bekam ich dann doch noch das passende Stück. Zu Hause drauf gezogen, Kettenschloss rein, wow, saß wie angegossen. Endlich konnte ich zu einer Probefahrt starten. Huii, was war das denn? Es lief schon immer 45 km/h statt der erlaubten 25 km/h, war aber definitiv nicht frisiert. Auf einmal rannte meine Biene mit 55 Sachen durch die Gegend (was 3 Zähne mehr so ausmachen, heute würde ich das allerdings keinem mehr empfehlen, es ist einfach zu gefährlich), auch gut, dass konnte mich ja nur noch schneller ans Ziel bringen.
Zwei Tage später ging es los, alles was ich brauchte habe ich in meinen großen Rucksack gepackt, vorn am Lenkrad war meine Tasche mit Karte und anderen notwendigen Utensilien. Die erste Etappe ging bis Kassel, die Fahrt verlief weitestgehend unproblematisch, aber kurz hinter Holzminden fing es an zu regnen, als ich abends völlig erledigt in Kassel in der Jugendherberge ankam war ich nass bis auf die Knochen. Na klar, eine Regenjacke hatte ich schon, aber der Rest meiner Klamotten war pitschenass, selbst meine Socken waren durchweicht, brrrr. Nachdem ich meine Sachen zum trocknen vor die Heizung gehängt hatte fiel ich todmüde ins schaukelige Jugendherbergsbett, meine Güte, ich kam mir vor wie auf nem Kahn, jedes Mal, wenn ich mich umgedreht habe, war alles am schaukeln weil die Metallfedern schon so ausgeleiert waren. Am nächsten morgen bin ich in meine immer noch feuchten Sachen reingestiegen, war nicht gerade angenehm, aber ich wollte ja die nasse Wäsche nicht mit der trockenen im Rucksack vermischen. Aus Kassel wieder raus zu kommen war gar nicht so einfach, egal wo ich lang fuhr, irgendwie endete alles in einer Einbahnstraße, naja, irgendwann war ich dann aber doch auf dem richtigen Weg.
Den zweiten Tag ging es nur bis nach Bad Wildungen, dort lag meine querschnittgelähmte Freundin schon seit Wochen in der Klinik und ich wollte sie besuchen. Man gut, dass ich mir für den 2. Tag nicht mehr vorgenommen hatte, denn ich schob mein Mofa mehr als ich fuhr. Die Strecke nach Bad Wildungen verlief ziemlich steil nach oben, toll, nun lernte ich die negativen Auswirkungen meines "Frisierens" kennen, denn durch das größere Ritzel war es zwar schneller aber auch nicht mehr so gut im Anzug, also schob ich frei nach dem Motto: wer sein Mofa liebt der schiebt und schwitzt. Irgendwann hatte ich es dann aber doch geschafft, Moni und ich haben einen schönen Tag verlebt und die Nacht habe ich im Auto ihres Freundes verbracht, es war wieder am schütten, aber ich lag wenigstens trocken.
Am nächsten Morgen ging es weiter, mein nächstes Ziel war Koblenz. Bis Neuwied verlief die Fahrt ohne besondere Vorkommnisse, im Gegenteil, dass Wetter war trocken so das die Fahrt eigentlich ganz schön war. In Neuwied gab es dann ein Hinweisschild "Radfahrer nach Koblenz", diesem fuhr ich hinterher, aber irgendwie war alles verquer, denn irgendwann war der Weg zu Ende und kein weiteres Hinweisschild für Radfahrer nach Koblenz, na klasse, oh man, ich wollte eigentlich noch mal ankommen. So langsam hatte ich die Nase voll von der ständigen Sucherei und weil ich keinen anderen Weg auftun konnte fuhr ich kurz entschlossen auf die Autobahn in Richtung Koblenz, der Standstreifen war meiner und ich hoffte nur, dass hinter mir kein Streifenwagen kam. Meine Güte, war das ein Hupkonzert, also ich konnte die ganze Aufregung überhaupt nicht verstehen, ich fuhr doch nun wirklich nur auf dem Standstreifen, dass auch noch ganz rechts und störte doch keinen weiter, pah, ich war zu allem entschlossen und fuhr unbeirrt der nächsten Abfahrt entgegen. Bin dort dann natürlich auch von der Autobahn runtergefahren, wollte ja mein Glück nicht überstrapazieren, außerdem wusste ich ja jetzt wieder, in welche Richtung ich fahren musste und war bald in Koblenz angekommen. Zuerst machte ich mich auf die Suche nach der Jugendherberge, die ist in Koblenz in der Festung Ehrenbreitstein, hui, was für ein imposantes Gemäuer. Nachdem ich mich angemeldet hatte vertrat ich mir erstmal ein wenig die Beine, sie waren doch recht lahm, denn viele Pausen habe ich ja nicht eingelegt. Es war einfach fantastisch, diese Aussicht von dort oben auf das "Deutsche Eck", wo die Mosel in den Rhein mündet, einfach einmalig und so blieb ich eine ganze Weile sitzen und genoss den herrlichen und vor allen Dingen trockenen Abend. Als es dann fast dunkel war bin ich rein in die Jugendherberge und habe mich schlafen gelegt. Hm, gut, was man in so alten Gewölben denn so schlafen nennen kann. Eigentlich schlafe ich immer wie ein Brett, aber was in dieser Nacht los war, echt keine Ahnung. Ich habe mir dermaßenen Müll zusammengeträumt, dass ging schon auf keine Kuhhaut mehr, da kamen irgendwelche Moorleichen aus den Wänden rausgekrochen, irgendwo schrie immer jemand ganz jämmerlich und dann trieben auch noch irgendwelche kettenrasselnden Ungetüme ihr Unwesen. Am nächsten Morgen bin ich wie gerädert aufgestanden, habe meine Sachen zusammengerafft und flutsch, weg war ich, noch nicht einmal gefrühstückt habe ich, ich wollte einfach nur weg aus diesem Gruselkabinett.
Wow, jetzt ging es ab, bergab, dass war toll, aber irgendwie war mein Mofa der Meinung, dass wir einfach schon wieder zu lange unterwegs waren, ich war noch gar nicht die Abfahrt von der Burg unten da gab es auf einmal einen Knacks unter mir und der Sattel von der Karre war ab. Nee, so langsam hatte ich jetzt aber doch den Kanal voll, erst vorher das ganze Theater, dann die ganzen Aktionen während der Fahrt und nun auch noch das. Vor allen Dingen, was sollte ich denn machen? Ich konnte ja wohl kaum auf der Sattelstange thronend meine Fahrt fortsetzen. Für alle Eventualitäten hatte ich vorgesorgt, Pannenspray für einen Platten und ein bisschen Werkzeug hatte ich natürlich auch mitgenommen, es hätte sich ja eine Mutter oder Schraube lösen können, aber mit so was hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Man gut, dass sich in meinem Rucksack nur Anziehsachen be-fanden, also hab ich den Sattel einfach auf den Rucksack gelegt und weiter ging es, nun saß ich zwar etwas niedriger als vorher, aber es ging noch ganz gut.
Das nächste Problem ließ auch nicht lange auf sich warten. So problematisch es gewesen war, nach Koblenz rein zu kommen, genauso problematisch war es, wieder raus zu kommen. Es war egal, in welche Richtung ich fuhr, immer wieder landetet ich vor einer Autobahn. Endlich glaubte ich eine Strecke gefunden zu haben, die ich mit der Mofa fahren durfte, schnell noch die Karte studiert, aha, "Montabaur", gut, dass lag zwar nicht unbedingt auf dem Weg, aber egal, Hauptsache endlich weg hier, irgendwie würde ich schon wieder auf den rechten Weg kommen. Ich fuhr und fuhr und auf einmal durchfuhr mich ein Schreck, ich sah es wieder, ein Autobahnschild, oh man, es riss einfach nicht ab, na gut, es ging eine Abfahrt nach rechts weg, dachte, dass vielleicht dort die Bundesstraße weiterging, Fehlanzeige, da war ich dann richtig auf der Autobahn. Also fix runter vom "Ofen" und dann erstmal die Auffahrt wieder hochgeschoben. Oben angekommen hab ich mich dann aber wieder draufgesetzt, denn ich überhaupt keine Lust, die letzten 2 Kilometer wieder zurückzuschieben Also ging es entgegengesetzt der Fahrtrichtung auf dem Standstreifen wieder zurück nach Koblenz, nun machte ich also auch noch die Erfahrung als "Geisterfahrer, toll. Als ich wieder in Koblenz angekommen war hatte ich dann aber endgültig genug von dem ganzen Zinober und fuhr in Richtung Bahnhof, wo der war, wusste ich sogar noch, war ich vorher schließlich mindestens 3 mal dran vorbeigefahren, ich habe das Mofa und mich kurzerhand in den Zug verfrachtet und bin dann den Rest der Strecke bis nach Saarlouis mit dem Zug gefahren.
Meine Freundin hat sich riesig gefreut, dass ich gekommen bin, obwohl sie nie im Leben damit gerechnet hat, dass ich wirklich mit dem Mofa zu ihr komme. Den Rückweg ca. 14 Tage später habe ich allerdings von vornherein mit dem Zug zurückgelegt. Trotz der vielen Widrigkeiten hat mir diese Fahrt unheimlich viel Spaß gemacht und ich denke auch heute noch gern an diese Fahrt zurück. Naja, wenn ich heute so über manche Dinge, die ich da so verzapft habe, nachdenke, dann war das zum Teil echt nicht OK, Mofas frisiert man nicht, Mofas haben auf Autobahnen nix zu suchen und Geisterfahrer gehen gar nicht, aber damals war ich einfach noch zu jung, um mir die Ausmaße meines Handelns bewusst zu machen, ich wollte einfach nur meinen Traum verwirklichen und da war mir auch total egal, wie ich mein Ziel erreiche.
Nachtrag: Ich habe meine Oma mit meiner Fahrt ins Saarland so beeindruckt, dass ihr die ganze Geschichte nicht mehr aus dem Kopf ging und sie ein Gedicht darüber geschrieben hat, welches sie mir dann zu meinem 20. Geburtstag geschenkt hat. Es hängt eingerahmt in meinem Zimmer und auch heute stehe ich noch so manches Mal davor und lese es, es ist eine schöne Erinnerung an einen sehr lieben Menschen, der leider viel zu früh gegangen ist, aber dadurch auch von seinem Leiden erlöst wurde.
Das ist das Gedicht meiner innig geliebten Mimi (zeitlebens wurde meine Oma nur so von all ihren Enkeln genannt, warum, dass weiß eigentlich keiner von uns mehr so genau):
"Nicole macht's möglich!"
Seit Nicole ihre Mofa hat,
ist die Familie manchmal platt!
Was sie so alles unternimmt,
doch manchen von uns heiter stimmt.
Mit Sturzhelm und mit kühner Miene
schwingt sie sich auf ihre "Maschine".
Und düst und düst im Sauseschritt;
(die "Mimi" düst im Geiste mit!!)
Kürzlich erzählte sie, munter und keck:
"Ich mach' erstmal Urlaub und fahre weg!
Ich packe meine Sachen ein
und mache dann die Mofa klar,
ihr müsst deshalb nicht ängstlich sein:
Ich fahr 3 Wochen an die Saar!"
Wir hörten dieses und schüttelten den Kopf:
"Jetzt ist Nicole ausgeflippt,
der arme, arme Tropf!!"
Aber Nicole ihrerseits
fand an der Sache großen Reiz
und ließ sich deshalb nicht beirren,
per Mofa an die Saar zu schwirren! ….
Gesagt, getan und in die Hänge gespuckt,
Mofa fit gemacht, nicht mit der Wimper gezuckt!
Die Taschen voll gepackt, den Helm dann auf das Haupt,
den Motor an und Gas gegeben, dass es nur so staubt!
Das Reiseziel war endlich auch erreicht,
obwohl die Fahrt wahrlich nicht immer leicht:
Zum Beispiel diese Kasseler Höh'n
zu erklimmen, war nicht gerade schön.
Dann hat auch noch der Sattel - ei der Daus -
mal schlappgemacht, er hielt den Druck nicht aus!!!
Nicole hat erstmal kräftig dann geschoben
und später diesen Schaden auch behoben.
Die Rückfahrt aber, welch' ein Glück,
legte sie per Bahn zurück.
Das war sicher auch sehr klug:
Das Mofa hatte von der Schinderei genug!!
Nach diesem kleinen Deutschland-Trip
Ist unser "Globetrotter" froh,
wieder mal daheim zu sein,
und wir sind es ebenso!
Hannover, den 26. Dezember 1983